»Man stelle sich vor, die deutsche Literatur wäre überwiegend auf Japanisch verfasst, obwohl die meisten Deutschen diese Sprache nicht beherrschen – eine absurde Idee. Aber genau so war die Lage in den unabhängig gewordenen Ländern Afrikas südlich der Sahara (und ist sie weitgehend auch heute noch), als der damals vierundzwanzig Jahre junge Kenianer, der als James Ngugi geboren wurde, 1962 zur ersten Konferenz afrikanischer Schriftsteller englischer Sprache nach Kampala kam.[…] Seine mehrfach überarbeiteten und mit Diskussionen und weiterführenden Studien angereicherten Essays wurden 1986 mit einem ausführlichen Vorwort unter dem Titel ›Decolonising the Mind – The Politics of Language in African Literature‹ veröffentlicht. Es brauchte weitere 25 Jahre, bis der Band auf Französisch erschien, und 31 Jahre bis zur nun endlich erschienenen deutschen Übersetzung. […] Doch haben die Texte von Ngugi wa Thiong‘o (der James im Namen fehlt längst) keineswegs an Relevanz und Aktualität eingebüßt. Ihre Lektüre macht uns die Bedeutung von Sprache als Kommunikation und als Kultur jederzeit und überall bewusst. Sie führen uns vor Augen, von welcher Grundlage aus wir die Welt betrachten und welches Selbstverständnis wir daraus entwickeln. Wenn bereits dem Schulkind eine fremde Sprache aufgezwungen und der Gebrauch der Erstsprache mit Strafen geahndet wird – wie es selbst jungen afrikanischen AutorInnen noch widerfahren ist – wird deutlich, dass Sprachpolitik ein wichtiger Aspekt sowohl kolonialer als auch neokolonialer Machtausübung ist: Sie dient als ›Zauberformel für den Eintritt in die heiligen Hallen der kolonialen Elite‹ und gleichzeitig zur ›kolonialen Entfremdung, die nicht mit der Unabhängigkeit beendet ist‹. […]Die Lektüre von ›Dekolonisierung des Denkens‹ bietet eine willkommene und notwendige Gelegenheit, das westliche Sprach- und Kulturverständnis zu hinterfragen und festzustellen, dass ›Pluriversität‹ statt Universalität (Achille Mbembe) unser Denken und Handeln bestimmen sollte.« – Eva Maria Bruchhaus, iz3w, nr365, März/April 2018