›Hat die Zukunft …?‹ in ARGUMENT Nr. 300, 6/2012

UNRAST VERLAG Pressestimmen ›Hat die Zukunft …?‹ in ARGUMENT Nr. 300, 6/2012

Luisa Fischer schreibt:

 

‘Verf. legt eine Sammlung teilweise bereits veröffentlichter Aufsätze zum Wachstumsparadigma
vor. Er versteht den Band nicht als »systematische Schrift, sondern« als »eher
lose Skizze, die Schneisen in das Dickicht der Informationsflut zu schlagen versucht« (9).
Hauptanliegen ist es, die Priorisierung von wirtschaftlichen Interessen in der multiplen
Krise zu kritisieren. Soziale und ökologische Probleme sollten Vorrang vor ökonomischen
Prinzipien des Gewinnstrebens und der Expansion erhalten, denn es sei »unbegreiflich, wie
die politischen Entscheidungsträger denken und entscheiden und in welchem Maße Tier
und Pflanzen kurzfristigem Profitdenken geopfert werden« (130). Verf. untersucht den Stellenwert
von Wachstum in Politik und Wirtschaft, indem er versucht, seine Auswirkungen
im Kontext eines wachstumsgetriebenen Kapitalismus in den Blick zu nehmen. Dazu
liefert er teils lose aneinander gereihte Artikel zu den Themen Welternährung, Ölpreis,
Ressourcenknappheit, Klimawandel, Artensterben, Sättigung in der industrialisierten Welt,
erneuerbare Energien, Bevölkerungswachstum u.a.
Die Darstellungen sind dann besonders erkenntnisreich, wenn naturwissenschaftliche
Zusammenhänge verständlich gemacht werden, z.B. wenn er das Entropiegesetz aus der
Physik der Thermodynamik, auf das sich fast alle Wachstumskritiker in irgendeiner Weise
berufen, erklärt. Aus dem relativ simplen Fakt, dass jeder Gegenstand, der uns umgibt, »aus
irgendeiner Form von Rohmaterial entwickelt« wurde »und eines Tages als unbrauchbarer
Müll enden wird« (55), folge, dass derselbe Prozess nicht noch einmal von vorn stattfinden
könne. Energie würde unter dem Verlust eines kleinen Teils derselben umgewandelt;
auch ökonomische Prozesse seien damit nicht umkehrbar. Der fundamentale Fehler der
Wirtschaftswissenschaft bestehe daher darin, diesen Fakt zu ignorieren. Ihre praktizierte
Methode sei es, wirtschaftliche Vorgänge in mathematische Formeln zu fassen und so als
Kreisläufe anzunehmen. Aufgrund ihrer Berechnungen und Statistiken verkaufe sie sich als
Quasinaturwissenschaft und unterschlage das Phänomen der Entropie, den kleinen verlustig
gegangenen Teil bei der Energieumwandlung. Damit verkürze sie jene Abläufe erheblich,
»weil alle qualitativen Unterschiede verloren« (56) gehen. Die so betriebene Banalisierung
des Komplexen mache blind für ein »Paradoxon von grundlegender Bedeutung: das Schaffen
einer geordneten Struktur auf einer Stelle führt an anderer Stelle zu mehr Unordnung« (57)
und habe die Ausklammerung der Umweltverschmutzung und des Mülls zur Folge.
Allerdings bewegt sich Verf. durch die naturalistischen Argumente, die sich zahlreich
im Buch finden, in der Tendenz, zu entpolitisieren und Handlungsmöglichkeiten
einzuschränken. Im schlimmsten Fall liefert er ein Deutungsmuster, das zu Verzicht und
Einschränkungen für alle aufruft und damit vom eigentlichen Skandal, der ungleichen
Verteilung materieller Güter, ablenkt.
Die Ausführungen sind dann hilfreich, wenn Daten und Fakten zum Klimawandel zur
Verfügung gestellt und Beziehungen zwischen Konzerninteressen und umweltverschmutzenden
Technologien mit erheblichen Risiken (z.B. Ölsand, Tiefseebohrung) analysiert
werden. Der Fokus auf kurzfristige Gewinne, von denen kapitalistische Wirtschaftssysteme
abhängen, wird in seinen langfristigen Auswirkungen perversen Ausmaßes nachgezeichnet
und offenbart, dass Umweltschutz nur dann eine tragende Rolle spielt, wenn er Profite
verspricht. Damit erteilt Verf. sowohl Entkopplungsgläubigen als auch Konzepten eines
Green New Deal eine Absage. Systemimmanente Lösungen könne es nicht geben, da
der »Kapitalismus, wie wir ihn kennen« (115, mit Bezug auf Elmar Altvater) auf fossile
Brennstoffe angewiesen sei und auf einem Geldsystem basiere, das von ständig steigenden
Gesamtschulden und Wirtschaftswachstum abhänge (mit Bezug auf David Korowicz). Inflation
und Peak Oil läuteten damit das Ende eines Systems ein, was von Kapitalisten so lange
wie möglich herausgezögert werden müsse. Globale Konflikte würden in Kauf genommen
oder sogar provoziert. Auch die Analyse vermeintlicher Alternativen (Kohle, Gas, Atomkraft,
Windkraft, Sonnenenergie) gebe wenig Grund zur Beruhigung, weil die regenerativen Technologien
bei einer wachsenden Wirtschaft das Klima schlechterdings nicht retten könnten.
Verf. liefert neben naturwissenschaftlichen und ökonomischen Analysen auch gesellschaftskritische
Betrachtungen zur industrialisierten Welt, in der die »Lebenswirklichkeit
häufig komplett künstlich« (32) sei, weil sich Werbung zwischen Mensch und Ware stelle
und so den Blick auf die häufig schlechten Bedingungen der Produktherstellung verdecke.
Leider mischen sich in die durchaus interessanten Ausführungen triviale Darstellungen des
Menschen als »Gebrauchtwagen, der Millionen Jahre alt ist« (33) und neurowissenschaftlichen
Analyse der »genetischen Programme in unseren Köpfen« (34).
Verf. plädiert für eine Auseinandersetzung mit vorherrschenden Vorstellungen von
Wohlstand und fordert eine Verzichtsethik, die nicht zwangsläufig auf einen Verlust
hinauslaufen müsse, sondern in Rechnung stelle, »worauf wir im Moment verzichten«
(150), nämlich vor allem Zeit und Beziehungen zu anderen Menschen. Er folgt der These
vom Postwachstum, wenn er die »Deökonomisierung des Denkens« (151) fordert. Dazu
brauche es vor allem eine völlige Neuausrichtung der Wirtschaftswissenschaften, die
sich von Auffassungen der »Natur als Gratis-Rohstofflager« (151) lösen müsse. Der Text
kämpft für Veränderungen in den Köpfen und liefert eine Datengrundlage für Argumentationen,
die einen Wandel des Denkens einleiten und gesellschaftliche Formationen ins
Wanken geraten lassen könnten.’

 

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