1. Sascha Karminski / für das Journal für Psychologie – 2/2002
2. Conne Island 1/02 – Frantz Fanon – schwarze Haut, nicht ganz weiße Weste.
3. Oskar Lubin, GWR 264 12/01 – Die Gewalt der Befreiung
Frantz Fanon zwischen Antiimperialismus und Postmoderne
4. FLORIAN ZEYFANG – netzeitung 12/01 – Ambivalentes Selbstgefühl
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Udo Wolter – Das obskure Subjekt der Begierde . Frantz Fanon und die Fallstricke des Subjekts der Befreiung, Münster 2001, Unrast-Verlag, 236 S., 16 EUR, ISBN 3-89771-005-6.
Münster, 7. Februar 2002
1. Sascha Karminski / für das Journal für Psychologie – 2/2002
Frantz Fanons Ruf als der Verfechter des gewaltsamen Befreiungskampf der Kolonisierten gegen ihre imperialistischen Unterdrücker beruht vor allem auf der antikolonialen Revolutionstheorie, wie er sie in „Die Verdammten dieser Erde“ dargelegt hat. Lange Zeit wurde sein Ansatz von der Linken in den Metropolen auf diese Rechtfertigung revolutionärer antikolonialer Gewalt im Rahmen eines binären antiimperialistischen Weltbildes reduziert und zur Rechtfertigung eigener politischer Ziele herangezogen.
Wolter stellt diesem reduzierten Fanonbild einen Theoretiker im Spannungsfeld von Psychologie und Politik, Metropole und Trikont gegenüber, einen Theoretiker, der sich an seinem Verhältnis zu Lacan, Benjamin („der Wille zur Geschichte“), Hegel (die „Herr-Knecht-Dialektik“) und in dessen Folge Lukács messen lässt. Dadurch wird deutlich, wie vielschichtig Fanon trotz sehr kurzsichtiger Ansichten, was sowohl das Konzept nationaler Befreiung als auch das Geschlechterverhältnis im Befreiungskampf angeht, argumentiert hat und warum er heute sowohl von VertreterInnen der „Postcolonial Studies“ als auch von gestandenen MarxistInnen begeistert rezipiert wird. Wolter versucht und schafft die intellektuelle Gradwanderung zwischen Hybridität und Identitätspolitik, indem er zu den Ursprüngen von Fanons Theorie zurückgeht und sowohl die Originaltexte als auch die seiner KritikerInnen und VerfechterInnen immer wieder gegen den Strich liest. Heraus kommt dabei ein Nachschlagewerk für „Fanon-Studies“ und eine Standortbestimmung für die post-antikoloniale Metropolenlinke.
2. Conne Island 1/02 – Frantz Fanon – schwarze Haut, nicht ganz weiße Weste.
Conne Island ** Koburger Straße 3 ** D-04277 Leipzig – Germany
http://www.conne-island.de/ ** conne@island.free.de
Frantz Fanon – schwarze Haut, nicht ganz weiße Weste. Verdammt unter der ErdeMarxistisch angehauchte Antiimps und Cultural Studies-AnhängerInnen schwören auf ihren Frantz Fanon. Während erste sich auf sein Spätwerk („Die Verdammten dieser Erde“) berufen, schmökern letztere im Frühwerk „Schwarze Haut, Weiße Masken“. Udo Wolter sagt: alles Quatsch. Es kann keine affirmative Rezeption von Frantz Fanon geben. Er empfiehlt dagegen eine kritische Diskussion seiner Texte – die alle aus einem Guß seien. Eine Einteilung in Früh- und Spätwerk mache schon deswegen keinen Sinn, weil Fanon mit 36 gestorben ist. Der Vorzeige-Antinationale Wolter teilt allerdings nicht die Auffassung der Antinationalen Gruppe Leipzig, daß Fanon zu verdammen sei, weil er nicht erkannt habe, wer die wirklich Verdammten dieser Erde seien: die Juden. Deswegen folgt nun anläßlich seines Todestages am 6.12. leicht verspätet folgende kritische Würdigung.
Udo Wolter:Das obskure Subjekt der BegierdeFrantz Fanon und die Fallstricke des Subjekts der BefreiungUnrast: 2001, 236 S., ISBN: 3-89771-005-6
Udo Wolter selbst ist das beste Beispiel dafür, wie sich zumindest Teile der Antiimp-Szene inzwischen kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, ohne in Irrationalismus zu verfallen oder dem Renegatentum zu frönen. Er kommt aus der Internationalismusbewegung, kritisierte den positiven Bezug der Kurdistan-Solidarität auf den Nationalitätsbegriff, die wiederum konterte als „Letztbegründung“ mit Frantz Fanon. Und so nahm sich Wolter den Fanon vor. Inzwischen ist Wolter regelmäßiger Autor von iz3w und jungle World und hebt sich in der Auseinandersetzung um „Zivilisation vs. Barbarei“ wohltuend von den „Djihads des Werts“ (Robert Kurz über die Teile der Wertkritik-Fraktion) ab.Auch Fanon konnte sehr wohl zwischen „Zivilisation und Barbarei“ unterscheiden. Im zweiten Weltkrieg kämpfte der aus der Karibik stammende Psychiater „freiwillig mit der französischen Armee zur Verteidigung der humanistischen Werte der französischen Zivilisation (…) gegen die deutsche nationalsozialistische Barbarei.“ In seinem ersten Buch, „Schwarze Haut, Weiße Masken“, schrieb er dazu: „Was soll dieses Gerede von einem schwarzen Volk, einer Negernationalität? Ich bin Franzose. (…) Mein Platz (war) nicht neben dem Problem, sondern mitten in dem Problem.“ (S. 22) – und das, obwohl er schon damals reflektierte, welche Rolle den Schwarzen in der französischen Armee zugewiesen war. Während des Algerienkrieges verkörperte Frankreich für Fanon jedoch nicht mehr die humanistischen Werte. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Frankreichs, der Fanon sich bis dato sehr verbunden fühlte, trommelte für den Krieg gegen die Befreiungsbewegungen: „Kommunisten müssen an jedem Krieg teilnehmen, egal wie reaktionär er auch sein möge.“ (S. 141)Fanon verschreibt sich dem antikolonialem Befreiungskampf in Theorie (seine zwei Bücher gelten als Standardwerke) und Praxis (er wird Politiker der sozialistischen FLN in Algerien). Während sein erstes Buch „Schwarze Haut, Weiße Masken“ eher der Rassismusanalyse und Kolonialgeschichtsschreibung zuzuordnen ist, beschäftigt sich „Die Verdammten dieser Erde“ mit dem antikolonialen Befreiungskampf, seinen Voraussetzungen und Problemen. „Schwarze Haut, Weiße Masken“ ist teils autobiographisch angelegt und untersucht die kulturellen Erscheinungsformen des Rassismus: z.B. Sprache, Sehen, Sexualität. Dabei bezieht Fanon sich zwar positiv auf marxistische Vorstellungen, vom Kapitalismus ist bei ihm allerdings kaum die Rede, sondern von „Kultur, Identität, von Herrschaft, Widerstand und Gewalt“. (S. 128) Das ist zwar nicht unbedingt falsch, aber immerhin verkürzt. Lediglich bei der Begründung für die prognostizierte Ablösung des biologistischen durch einen kulturalistischen Rassismus beruft er sich auf ökonomische Prozesse: Die Perfektion der Produktionsmittel würde auch eine subtilere Verschleierung der Techniken der Ausbeutung nach sich ziehen. (S. 42) Peter Schmitt-Egner kritisiert, daß die „Theoretiker des Kolonialismus“ das koloniale Gewaltverhältnis nicht richtig fassen konnten, da „die Form der Herrschaft“ (die Gewalt, der Rassismus) „den Inhalt“ (das Wertgesetz) „fast verschwinden ließ.“ (S. 108) Wolter warnt allerdings davor, Rassismus allein aus ökomomischen Entwicklungen ableiten zu wollen. Gewalt. Hannah Arendt warf Fanon vor, die antikoloniale Gewalt zu verherrlichen. Er wäre dabei von der futuristisch-faschistischen Gewaltfaszination (z.B. eines Sorels) beeinflußt. Sartre dagegen lobt Fanons Beharren darauf, daß der Kolonialismus nur überwunden werden könne, wenn die Gegenwalt größer wäre als die koloniale Gewalt. Fanon habe – so Sartre in seinem Vorwort zu den „Verdammten dieser Erde“ – „die ‘Geburtshelferin der Geschichte’ wieder ins rechte Licht“ gerückt. (S. 77)Wie berechtigt der Vorwurf von Arendt ist, wird im Buch nicht weiter erörtert. Interessant ist allerdings, daß Arendt sich bei ihrer Argumentation selbst rassistischer Klischees bedient. So sei der europäische Rassismus im 19. Jahrhundert eine Folge (und nicht Ursache) der Erfahrungen der Kolonialisatoren mit dem „ins Tierhafte, nämlich wirklich ins Rassisch degenerierte Volk, (…den) wilden barbarischen Stämmen“ in Afrika gewesen. (S. 82) Dies ist umso verwunderlicher, da Hannah Arendt bei ihrer Antisemitismusanalyse den Arbeits-Ethos (schaffendes/raffendes Kapital) als zentrales Moment einer falschen Kapitalismuskritik benennt, gleichzeitig als Beweis für die „Unterlegenheit (und) Weltlosigkeit (…) der Eingeborenenstämme“ anführt, daß diese nicht in der Lage seien, produktive Arbeit zu leisten und somit der Natur zugehörig seien. Aber auch Fanon bedient sich des Mythos’ der Arbeit. Er bezieht sich positiv auf einen Begriff der Arbeit, in der der Kolonialisierte seiner selbst bewußt wird. Die antikoloniale Gewalt ist für Fanon sinnstiftende Arbeit: „Arbeit heißt, am Tod des Kolonialherren zu arbeiten. (…) Auf der individuellen Ebene wirkt die Gewalt entgiftend. Sie befreit den Kolonialisierten von seinem Minderwertigkeitskomplex“. (S. 77, S. 91)Fanon warnt in seinen Schriften ausdrücklich vor den Gefahren einer nationalen, identitätsfixierten Fehlentwicklung innerhalb der Befreiungsbewegungen. Das Konzept der „nationalen Befreiungsbewegungen“ stellt er als solches aber nicht in Frage. Die Herausbildung von unabhängigen Nationalstaaten hält er für einen notwendigen Zwischenschritt der historischen Entwicklung. So lassen sich bei Fanon extrem nationalistische Passagen finden: „In der Phase des nationalen Aufbaus (muß) jeder Staatbürger in seiner konkreten täglichen Aktion fortfahren, sich der Gesamtheit der Nation anzuschließen, die dialektische Wahrheit der Nation zu verkörpern, hier und jetzt den Sieg des totalen Menschen zu wollen.“ (S. 159) Auf der anderen Seite kritisiert Fanon vehement den umgekehrten Rassismus gegenüber den Weißen, den Regionalismus, das Stammesdenken, den Rassismus innerhalb der afrikanischen Gesellschaften (wobei er von einem Bündnis aus Eliten und Mob ausgeht, d.h. auch sein „revolutionäres Subjekt“, die Bauern und die marginalisierten Proletarier, nicht verschont). An anderer Stelle rehabilitiert er ungerechtfertigerweise wieder die Angegriffenen: dem Regionalismus bescheinigt er eine höhere Demokratiefähigkeit, das unter Kolonalisiertenmentalität schlummernde Stammesdenken sei Garant für die Hinüberrettung von vermeintlich progressiven Traditionen in die Zukunft – und die Bauern sind eh das non-puls-ultra: „Ein nationaler Militant, der beschließt, anstatt in den Stadtvierteln mit der Polizei Versteck zu spielen, sein Schicksal in die Hände der bäuerlichen Massen zu legen, verliert niemals.“ (S. 146)In seinen Analysen geht Fanon auf den Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus ein. „Der Neger stellt die biologische Gefahr dar. Der Jude die Intellektuelle.“ In Anlehnung an Sartre beschreibt er, wie der Antisemitismus die Personifikation des Abstrakten im Juden ausmacht, während der Rassismus sich der Personifikation des Konkreten bedient. Diese oberflächliche Unterscheidung wird allerdings nicht weiter vertieft. Die Erwähnung des Antisemitismus geschieht weniger aufgrund einer analytischen Durchdringung, sondern mehr aufgrund der eigenen Betroffenheit: in Algerien galt Fanon als israelischer Agent aufgrund seiner Äußerungen gegen Antisemitismus und seiner Freundschaft zu jüdischen Ärzten. (S. 41, S. 142). Deswegen ist das Werk von Fanon auch nicht frei von antisemitischen Codes. Er beklagt den kosmopolitischen Geist der Bourgeoisie, neigt dazu, die Zirkulationssphäre zu dämonisieren, bezieht sich positiv auf den Arbeitsbegriff und hat ein taktisches Verhältnis zum Nationalismus. Seine Kapitalismuskritik beschränkt sich auf Konzernmacht und Ausbeutung. Den fortschrittlichen Intellektuellen empfiehlt er, sich mit der „angestammten Kultur“ der zu befreienden Gesellschaften zu beschäftigen, sonst „kommt es zu schwerwiegenden psychoaffektiven Verstümmlungen. Menschen ohne Ufer, ohne Grenzen, ohne Farbe, Heimatlose, Nicht-Verwurzelte, Engel.“ (S. 156) Festzuhalten bleibt aber, daß sich Fanon nie antizionistisch geäußert hat und aufgrund seiner Vorstellung von der Ähnlichkeit des Rassismus und Antisemitismus eine Empathie gegenüber den Juden empfand. Dies muß aber für Fanon schon deswegen kein Widerspruch sein, weil er andere Objekte für seinen latenten Antisemitismus hat: die Intellektuellen, die Kolonialmächte, die Kapitalisten – und die Frauen.Fanon verdinglicht als patriarchalischer Autor nicht nur die Frauen, sondern sieht in ihnen Agentinnen des Tauschwertes. Die Tatsache, daß die französische Kolonialverwaltung die Anti-Schleierpolitik als fortschrittlich und frauenfreundlich zu verkaufen versucht, verleitet Fanon dazu, den algerischen Frauen das Recht abzusprechen, eigene, sehr wohl fortschrittliche und nicht kulturimperialistische Gründe zu haben, ihren Schleier abzulegen. Fanon lamentiert: „Diese Musterfrauen laufen nun mit nacktem Gesicht und freiem Körper als Münzgeld in der europäischen Gesellschaft Algeriens herum.“ (S. 172) Ähnlich argumentiert Fanon bei seinen Untersuchungen über die Auswirkungen des kolonialistischen und rassistischen Blickes auf Sexualität und Partnerschaften: Schwarze Frauen, die sich mit weißen Männern einlassen, gelten als Verräterinnen, die ihre „Rasse“ weiß machen und ihre Aufstiegschancen verbessern wollen – schwarze Männer mit weißen Frauen dagegen trifft dieser Vorwurf nicht. Die Vergewaltigung von schwarzen Frauen durch die Kolonialherren ist für Fanon nur eine Schande für die Ehre der jeweiligen Ehemänner, was es für die Frauen selbst bedeutet, interessiert Fanon nicht weiter. Schlimmer noch: Die weiße Angst vor dem schwarzen Vergewaltiger entlarvt er nicht nur als rassistisch, sondern er unterstellt den weißen Frauen im gleichen Atemzug, vom masochistischen Wunsch nach Vergewaltigung getrieben zu sein: „Könnte es so, wie es Gesichter zum Ohrfeigen gibt, nicht auch Frauen zum Vergewaltigen geben?“ (S. 55)Dagegen wirken seine homophoben Ausfälle noch recht harmlos: Homosexualität, welche er als anormales Geschlechtsleben bezeichnet, sei nur eine Spielart des Rassismus und umgekehrt. Der Rassist sei ein „verdrängter Homosexueller“ und deswegen sei unter den Schwarzen diese weißen Krankheit auch nicht verbreitet. (S. 57) Das Buch von Udo Wolter ist eine kompakte und zum Teil schwer zu lesende Abhandlung nicht nur über Fanon, sondern gleichzeitig über alle jene, auf die er sich bezogen hat oder die sich auf ihn bezogen haben: Hegel, Lacan, Ahrendt, Sartre, Lukács, Benjamin, Said, Bhabha und viele andere. Mit den cultural-studies- und den marxistischen Apologeten Fanons geht Wolter schärfer ins Gericht als mit Fanon selbst: „Während die einen (den) Tatbestand“ – nämlich das „Scheitern der emanzipatorischen Impulse der Dekolonisation an der Realität der Zwangsvergesellschaftung ihrer Akteure zu identischen Staatssubjekten als Ergebnis der totalen Durchsetzung warenkapitalistischer Verhältnisse“ – „weiträumig umgehen, um in den Ambivalenzen und an den Rändern (…) dekonstruktiv subversive Potentiale ‘machtaneignenden Handelns’ zu entdecken, versuchen die anderen mit Klauen und Zähnen Fanons revolutionäre Emphase zu verteidigen und merken kaum, dass sie damit auch getreulich dessen falschen Kategorien des Bildes von Kapitalismus und Imperialismus wiederkäuen.“ (S. 190)Der Ritt durch die Philosophiegeschichte sollte nur mit einem Wörterbuch (Zitate englischer AutorInnen bleiben unübersetzt) und einem Fremdwörterbuch angetreten werden. All jene, die schon immer wissen wollten, was uns Ralf vermitteln wollte, aber nie so genau zu formulieren wagte, sei die Lektüre des Buches empfohlen. Und es bleibt zu hoffen, daß der unrastsame Ralf, befreit von der ständigen Textproduktion für’s CEE IEH, sich auch demnächst im UNRAST-Verlag überzeugender produzieren kann.Anmerkung: Alle Seitenangaben beziehen sich auf das besprochene Buch von Wolter, nicht auf die Primärquellen von Fanon. Das besprochene Buch und weitere Bücher von und über Fanon gibt es im Infoladen Leipzig.Carlos ·
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3. Oskar Lubin, GWR 264 12/01 – Die Gewalt der Befreiung
Frantz Fanon zwischen Antiimperialismus und Postmoderne
In der großen Ausstellung des documenta XI-Organisators Okwui Enwezor über Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika (The Short Century) lagen seine Bücher in Vitrinen, das Jungle World-Supplement Subtropen widmet ihm eine Schwerpunktausgabe (Nr.4, 08/2001) und in diesem Jahr jährt sich sein Todestag zum 40. Mal. Frantz Fanon. Bis auf das Hauptwerk Die Verdammten dieser Erde sind allerdings die Werke des Theoretikers antikolonialer Befreiung auf deutsch nicht mehr erhältlich. Dabei spielen die Schriften des auf Martinique geborenen algerischen Aktivisten in ganz unterschiedlichen Kontexten immer noch eine gewichtige Rolle. Sowohl in den politischen Statements der Solidaritätsbewegungen mit der „Dritten Welt“ seit den 60er Jahren, als auch in zeitgenössischen Literaturwissenschaften ist er eine gern bemühte Ressource. Kommentarlos waren in besagter Ausstellung Fanon-Zitate neben Sprüchen von Inhabern konträrer Positionen – wie Léopold Senghor oder Kwame N´Krumah – an die Wände geklebt. Und im postmodernen Theoriediskurs der Postcolonial Studies erfreut sich Fanon ebenso großer Beliebtheit wie ehedem in den Analysen metropolitaner AntiimperialistInnen der 70er Jahre. Während diese sich bei ihm gerne ihre Verbalradikalismen liehen, wird er in den poststrukturalistischen Ansätzen häufig als Vordenker hybrider Kulturen hofiert. Diese zentrale Ambivalenz macht Udo Wolter zum Gegenstand seines Buches und trifft damit die Grundbegriffe der Fanonschen Theoriebildung. Das Buch wird deshalb für das Fanon-Verständnis der oder des herkömmlichen Revolutionsinteressierten eine lehrsame Bereicherung und für die Forschung fortan unverzichtbar sein.
Ein immer wieder umstrittenes Thema ist das der Gewalt. Für Fanon konnten sich die Kolonisierten nur in der und durch Gewalt befreien. Die koloniale Gesellschaft beschreibt Fanon als eine durch und durch von Gewalt geprägte, die bis in die Körper der Beherrschten wirkt, denen die Aggressivität folglich „in den Muskeln“ sitze. Fanons Ansatz gilt deshalb in vielen Auseinandersetzungen als Gewaltverherrlichung – so in Hannah Arendts Essay über Gewalt (1970) wie auch in Lou Marins libertärer Würdigung von Albert Camus (1998), dessen Position Marin gegen Sartre und Fanon in Anschlag bringt. Wolter zeigt auf, wie Fanon in Anlehnung an Hegel Gewalt als Arbeit definiert und damit ontologisiert. Er stellt die „Geschichtsgebundenheit von Fanons Befreiungssubjekt“ heraus und kritisiert den aufklärerischen Glauben an den freien Willen des Subjekts. Der unhistorischen Verwendung des Arbeitsbegriffes setzt Wolter ein Verständnis entgegen, das die Kategorien Arbeit und Gewalt als reale Abstraktionen der Warenvergesellschaftung faßt. Als in die kapitalistische Vergesellschaftung eingebunden werden so auch die Prozesse von Kolonisierung und Entkolonisierung analysiert. Damit erschließt sich auch eine Erklärung des Scheiterns nationaler Befreiungsbewegungen. Nicht nur die gesellschaftlichen Entwicklungen im heutigen Algerien entsprechen ja nicht gerade denen, die Fanon und andere sich von antikolonialen Bewegungen erhofften. Der Bindung an die Nation in emanzipatorischer Absicht wird von Wolter eine ebenso deutliche Absage erteilt wie den Konzepten essentialistischer Identitätspolitik. Die Kritik an und mit Fanon würde sich also nicht nur auf den Büchertischen zum Gedenktag – Fanon starb am 6.Dezember 1961 36jährig an Leukämie -, sondern auch in den Diskussionen der GlobalisierungskritikkerInnen gut machen.
Oskar Lubin, GWR 264 12/01
4. Ambivalentes Selbstgefühl
FLORIAN ZEYFANG – netzeitung 12/01
Frantz Fanon war eine Ikone der revolutionären Befreiungsbewegungen. Seine Kritik an den postkolonialen Regimen in der Dritten Welt gibt heute Hinweise auf die Verstrickungen von Gewalt und Gegengewalt, Kolonialismus und Terror.