»ich hätte von dem negativ gerne einen abzug«
Wenn schon die Mehrheit der Erwachsenen nichts mehr vom Kommunismus bzw. der Notwendigkeit desselben wissen will, dann muss er eben mit den Kindern diskutiert werden. Eine naheliegende Idee?! Bini Adamczak liest seit einiger Zeit auf verschiedenen linken Veranstaltungen ihre »kleine geschichte, wie endlich alles anders wird« unter dem Titel »Kommunismus für Kinder« vor, womit die Programmatik deutlicher wird als in der abgewandelten Fassung des Buchtitels. Aus einer reflektierten Perspektive und vor dem Hintergrund der Kenntnisse der kritischen Debatten um die Kritik der politischen Ökonomie wie der Geschichte des praktischen Communismus versucht die Autorin, auf vermeintlich kindliche Weise zu erklären, was Kapitalismus ist und was bzw. wie Kommunismus sein könnte.
»Kommunismus« gilt für die VErwachsengewordenen der revolutionsromantischen Kindheitsjahre der 19 sixties seit langem nur noch als peinliche Utopie. Die Kinder, welche die Kinder jener peinlichen »Revolution« entlassen haben, wissen erst mal nur eins: die »kleine Kulturrevolution« und große Konterkulturrevolution ihrer Eltern, »die ihre Jugend verraten haben« (Walter Benjamin), verursacht ihnen Übelkeit. »Wenn … Linke der älteren Generationen ihre ganze Wut gegen das Projekt richten, dem sie so viel Lebenszeit geopfert haben, auf das sie alles gesetzt haben, und das ihnen dennoch nie den Sieg, aber viele Niederlagen bescherte: (…) was für eine heftige Wut! Praxis ist nicht nur nicht möglich, sie darf auch nicht mehr möglich sein. Nie wieder soll es zu so einer Enttäuschung kommen (…)« (Adamczak in: diskus 2.03).
Genauer könnte die Diagnose von seiten jener »Kinder« kaum sein, die diese ihre deutsche Elterngeneration am besten kennen, eine Generation, der Gerhard Schröder aus dem Herzen sprach: »Wir waren gemeinsam an der Planung der Revolution beteiligt, die wir heute gemeinsam verhindern.«
Waren die großen Erzählungen vom Communismus mumifiziert, mit der Eiszeit des sozialdemokratischen Zeitalters nach und nach fossiliert und mit dem Blairismus-Hartzismus gerade noch einmal »endgültig« witwenverbrannt, krabbeln jetzt plötzlich neue, kleine Erzählungen wie alles anders wird herum: »Schon einige Steinwürfe entfernt könnten die großen Worte wieder die angemesseneren sein. Die Revolution kann auf Coolness verzichten.« (diskus 2.03). Doch der Antikommunismus der Ohnmacht hat sie historisch oder einfach intuitiv belehrt, dass nichts tödlicher als communistisches Pathos sein kann. So halten sie sich einstweilen mit äußerster Umsicht und Scheu im Schattenreich des Pop – dieser trügerisch-künstlichen Zwielichtregion zwischen Pastiche und Parodie der herrschenden Kultur des kapitalistischen Unbehagens – auf; diese Nocturnen einer party-generation, mit der die (und die mit der) Generation der Parteien zum historischen Glück nichts mehr anfangen kann.
Was alle möglichen »Expertinnen«, Sozialwissenschaftlerinnen und »Kennerinnen« dieser unserer Gesellschaftsordnung nicht mehr sehen (wollen), was aber aus kindlicher, unmittelbarer Sicht nicht zu übersehen ist, ist in Adamczaks Erzählung der spezifische Charakter der Produktion der Waren, die den Kapitalismus ausmacht. Aus der Perspektive »des Kindes« scheint es noch möglich zu erkennen, dass das entscheidende Herrschaftsverhältnis im Kapitalismus der Zwang zur (Lohn-)Arbeit ist. Entsprechend drehen sich auch die Aufhebungs-, also Communismusversuche letztendlich darum, wie die gesellschaftliche Arbeit bzw. die Produktion insgesamt anders organisiert werden soll.
Allerdings gibt es mehrere Anläufe, und die ersten fünf Versuche des Kommunismus scheitern an ihrer Einseitigkeit, weil sie entweder (Versuch 1 und Versuch 3) in Staatskommunismus münden (es versteht sich von selbst, dass der Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus für Kinder nachrangig ist) und deshalb Herrschaftsverhältnisse bleiben, oder (Versuch 2) weil die Menschen zwar gesellschaftlich produzieren, aber die Marktverhältnisse, also Wert-, Austausch- und Geldverhältnisse beibehalten und sich das binnen kurzem unmittelbar wieder auf ihre Produktionsverhältnisse auswirkt, die alsbald wieder die alten werden, oder (Versuch 4) weil die Menschen dem Maschinenfetisch komplett aufsitzen und meinen, sie seien nur dann frei, wenn nicht sie sondern die Maschinen arbeiten, oder (Versuch 5) – nach diesem Versuch konsequent – weil sie die Dinge (und auch die Maschinen?) stürmen und zerstören, damit sie nicht mehr »von ihnen« beherrscht werden.
Beim sechsten – gelingenden – Versuch werden dann endlich die Produktions- und Verkehrsverhältnisse befreit und von allen Menschen selbst bestimmt. Die Befreiung liegt in der Selbstbestimmung auch der Arbeit, die keineswegs einfach und gemütlich oder widerspruchslos ist: »Das ist nicht wenig, was sich die Menschen da vorgenommen haben. Aber so viel ist es nun auch wieder nicht. Vor allem aber treffen sich die Menschen jetzt ständig, denn sie müssen über alles selbst diskutieren und wollen keine Entscheidung mehr irgendwelchen Topfmenschen überlassen, die es auch gar nicht mehr gibt. Stattdessen verändern sie selbst alles. So oft sie wollen.« Die Menschen machen jetzt – in aller Freiheit und erfreulichen Unterschiedlichkeit – ihre Geschichte endlich selbst. Dies der einleuchtende und erfrischend unzeitgemäße Teil der Erzählung.
Eher dem Zeitgeist verhaftet scheint Adamczaks Umgehen des Problems der Gesellschaftsklassen im Kapitalismus. Als wesentlicher Unterschied zwischen Feudalismus, also der Zeit, in der noch die Königinnen und Prinzessinnen regierten, und dem Kapitalismus, wird zunächst richtig die Herrschaft der Dinge festgehalten. »Das ist natürlich nicht im wörtlichen Sinne gemeint, denn selbstverständlich können Dinge gar nichts tun, schon gar nicht einen Menschen beherrschen, denn es sind ja nur Dinge. Es sind ja auch nicht alle Dinge, die die Menschen beherrschen, sondern nur ganz bestimmte oder besser: eine ganz bestimmte Form der Dinge.« Diese Form bekommen die Dinge durch die kapitalistische Produktions- und Vergesellschaftungsweise und die ihr entsprechenden Herrschaftsverhältnisse.
Dass die Menschen in dieser Gesellschaft zwar alle, aber nicht alle in gleicher Weise dem Kapitalverhältnis unterworfen sind, dass dieses Verhältnis also sich klassenförmig gestaltet, findet man nicht in Adamczaks Erzählung. Folgerichtig ist bei ihr die Aufhebung des Kapitalismus und die Einführung des Communismus auch kein Prozess sozialer Auseinandersetzungen, gar Klassenkämpfe, sondern folgt dem rationalen Beschluss der von einer (Unterkonsumtions-)Krise betroffenen Menschen. Die Revolution findet gewissermaßen auf dem Abenteuerspielplatz eines fiktiven »herrschaftsfreien Diskurses« statt.
Was in der »kleinen geschichte wie alles anders wird« dergestalt als Blinder Fleck bleibt, offenbart seinen theoretischen Grund in BA.s großem »Epilog«, wo der künstliche, anregend durchspielerische »Kinderbuch«-Horizont wieder über- (oder hinter?-)schritten wird, wo – sozusagen »jetzt aber mal im Ernst unter uns Großen« – das Wort an alle (vermeintlich) mit den großen Theorien von Marx, Adorno e.a. Erwachsengewordenen und an alle mit den akademischen Verbindlichkeiten des »Postmarxismus« und der »Gender Studies« Initiierten gerichtet wird. Schon der Untertitel »zur konstruktion eines kommunistischen begehrens« kündigt ihr »radikal« konstruktivistisches Credo an. Der Konstruktivismus aber wird hier – und das ist das eigentlich neuartige, anregende Moment dieses Versuchs – auf das alte Transformationsgesellschaftsproblem des wissenschaftlichen Communismus »angewandt«. In der uneigentlich-poppigen Verpackung als »kleine geschichte« für »Kinder« ist also ein alles andere als bescheidener Anspruch versteckt, und dieser greift dann wiederum doch noch einmal auf eine Art »Großtheorie« zurück, an die er sich klammern zu müssen glaubt. Wir meinen den eigentlichen theoretischen Kern von B.A.s Erzählexperiment: eine bestimmte, noch einmal radikal-konstruktivistisch überbotene Postone-Adaptation.
Weder der spezifisch konstruktivistische Ansatz noch die – im »Epilog« tatsächlich auf zweieinhalb Seiten von B.A. komprimiert wiedergegebenen! – Essentials von Postone’s »Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft« können an dieser Stelle auch nur andeutungsweise angemessen kritisiert werden. (siehe auch: webpage von theorie praxis lokal)
U. E. verdunkelt die Autorin der »kleinen geschichte« sich durch diesen »Epilog« gerade das bis dahin so transparent Gemachte, wird doch in einem sekundär-naiven Realismus bis dahin erzählt, dass und wie »die« Menschen durch ihr vorab gesamtgesellschaftlich planendes Zusammenspiel die Arbeit transformieren lernen – als tastender, durch Irrungen und Wirrungen zu einer bewussten gesellschaftlichen Synthesis gelangender Emanzipationsprozess mit ungewissem Ausgang – wo zum Schluss hin genau so viel klarer geworden ist: dass die Arbeit der Individuen weder kapitalistisch noch staatssozialistisch formbestimmt, d.h. fremdbestimmt und damit unter die Teilungen der gesellschaftlichen Arbeit subsumiert, individuell verknechtet bleiben muss, noch dass sie einfach »abgeschafft« werden kann (sehr wohl aber ihre Warenform als Lohnarbeit, moderne Lohnsklaverei), noch dass eine Befreiung und Befriedigung der individuellen Bedürfnisse- und Kreativitäts-Vielfalt ohne Befreiung von den konkreten wie abstrakten Formprägungen der Arbeit unter den historischen Bedingungen der Herrschaft von Menschen über Menschen als gesellschaftliche (statt naturwüchsige) Leistung denkbar und machbar ist. Darüber hinaus, dass die Befreiung der Menschen von ihren gesellschaftlich überkommenen Zwangsformen mit der Befreiung der menschlichen Arbeit von ihren historisch längst unnötigen Unlust-Momenten und blind-gesellschaftlichen Reglements einhergehen muss und kann.
Die ästhetisch-literarische Erzählung »für kinder« bewegt sich damit, ohne dass die Autorin es womöglich weiß und zugeben will, viel näher und plastischer entlang den nach wie vor wegweisenden, unabgegolten aktuell anregenden fragmentarischen »Grundrissen« von Karl Marx, als die großtheoretischen Rückgriffe und -schläge im draufgesetzten »Epilog«, dem »erwachsengewordenen« falschen Bewusstsein des vorübergehend »postmarxistischen« Zeitgeistes Rechnung tragend, kenntlich werden lassen.
Was wir hier vom »erwachsenen« Aspekt her als Regression empfinden mögen, erweist sich allerdings in der Resultante – vom Aspekt des uneigentlich »Kindlichen« – als zeitbedingte List. Zeigt sie doch so oder so: das staatsregulatorische Konstrukt »die Menschen« – das funktioniert als VErwachsenenVerhartzung bei Klassen- und Eigentumsfragen-Ausblendung mit Sicherheit nicht. Dagegen »kommunismus für kinder« geht erst, wenn »die menschen« nicht mehr »funktionieren« und konkurrieren, wie es eine Große Geschichte ihnen vorschreiben will, sondern ihr gesellschaftliches Begehren als selbstgemachte Geschichten und gesellschaftliches Abenteuer selbstbewusst definieren. Kleine und Große Geschichte schließen subjektivitätstheoretisch ganz realistisch: »Wenn der Rahmen des Machbaren auch das Wünschbare begrenzt, dann wäre das Wünschen schon wünschenswert.« Während hier der Epilog im Subjektivismus steckenbleibt, ist die kleine geschichte zum Glück schon zum Spiel mit den Optionen communistischer Produktion und Verteilung weitergegangen – über die kinderbüchenen Zeiten hinaus, als das Wünschen noch geholfen hat.’ – Nadja Rakowitz, Peter Christoph, THEORIE PRAXIS LOKAL, Diskus, 03_04/06