Die wilden Schafe. Rezension von Anna Homburg

UNRAST VERLAG Pressestimmen Die wilden Schafe. Rezension von Anna Homburg

Aus CONTRASTE Nr. 286/287 (Sommer 2008, Seite 14)

Die wilden Schafe

Manchmal stößt man im Leben auf Schriften, die einem das ganze Leben begleiten sollen oder gar eine komplette Bewegung beeinflussen können. Bevor jetzt jemand auf die Idee kommt irgendeine Heilige Schrift aus dem Regal zu holen, den muss ich enttäuschen. Einer der Männer, von dem hier die Rede ist, hat am 12. November 1897 den Bruch mit seiner religiösen Herkunft vollzogen und sich ganz dem Anarchosyndikalismus verschrieben. Gemeint ist die Schrift »Der Generalstreik und die soziale Revolution « von Arnold Roller. Arnold Roller ist Siegfried Nacht, der 1902 seine wohl berühmteste Broschüre publizierte und zusammen mit »Die direkte Aktion« (1906) dem revolutionären Syndikalismus ein Kampfinstrument
geben sollte.

Ich bin der Broschüre 1991 im Archiv des Auswärtigen Amtes zum ersten Mal begegnet. 1905 schrieb der damalige deutsche Konsul von Odessa einen geheimen Bericht an seinen Vorgesetzten nach Berlin, dass unter den russischen Soldaten eine Broschüre kursiere mit dem Namen »Der Generalstreik und die soziale Revolution«, die ein gewisser Arnold Roller, geschrieben habe. Mich selbst begeisterte die Broschüre ebenfalls und bestimmt meine politische Denkrichtung.

Lange war über Siegfried Nacht nur wenig bekannt, noch weniger über seinen Bruder Max Nacht. Diesen Missstand hat nun Werner Portmann mit seinem Buch »Die wilden Schafe. Max und Siegfried Nacht. Zwei radikale jüdische Existenzen« beseitigt und die beiden Brüder mit dieser gut recherchierten Biographie dem Vergessen entrissen.

Siegfried und Max Nacht, die unter zahlreichen Pseudonymen schrieben, gehören in der Geschichte der radikalen ArbeiterInnenbewegung zu den interessantesten Persönlichkeiten. Ihre Texte sind Bestandteil eines radikalen, gesellschaftskritischen Diskurses geblieben, der sich gegen jede Art von Herrschaft und Totalitarismus wendet. Das Buch zeichnet nicht nur den spannenden Lebensweg der beiden Brüder nach, sondern gewährt auch einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des europäischen Syndikalismus und der radikalen jüdischen ArbeiterInnenbewegung von Osteuropa bis in die Slums von London. Dabei dokumentiert Werner Portmann akribisch, wie Siegfried Nacht im deutschen Sprachraum einen wesentlichen Beitrag zur Bekanntmachung und Verbreitung des Anarchosyndikalismus leistete.

Fazit: Gut recherchiert, faktenreich, informativ und sollte in keiner syndikalistischen Bibliothek fehlen. Kleine Kritik: Das Buch hätte ein besseres Layout verdient.

Anna Homburg

Die wilden Schafe – Max und Siegfried Nacht. Zwei radikale jüdische
Existenzen. 164 Seiten, Unrast Verlag Münster, 12 EUR, ISBN:
978-3-89771-445-7