‘Der bewegte Marx’ in Junge Welt

UNRAST VERLAG Pressestimmen ‘Der bewegte Marx’ in Junge Welt

Gerhard Hanloser / Karl Reitter
Der bewegte Marx
Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxismus

Rezension von Christoph Jünke in jw vom 11.2.2009

Nachdem die wohl berühmtesten blauen Bände der Welt, die ebenso schlichte wie billige Gesamtausgabe der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels, zu Beginn der 1990er Jahre vielfach auf der Müllhalde der Geschichte buchstäblich entsorgt und vernichtet wurden, sind sie jetzt wieder da. Das anderthalb Jahrzehnte allenfalls von einer Handvoll Menschen nachgefragte Opus magnum von Karl Marx, »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie«, und der es verlegende Ostberliner Dietz-Verlag erfreuen sich seit dem Herbst 2008, seitdem die geplatzte Immobilienblase in eine Banken- und Wirtschaftskrise mündete, einer sprunghaft gestiegenen Nachfrage. Passend zur Krise und zum neu erwachten Publikumsinteresse hat sich auch der linke Hochschulverband der neuen Linkspartei an die Vergangenheit erinnert und sich nicht nur etwas anmaßend SDS genannt, sondern gleich eine neue Welle von Marx- und »Kapital«-Lesekreisen gegründet, die, so hört man, auf reges Interesse bei der Studierendenschaft stößt.

Sie werden es jedoch schwer haben, denn jeder Neuanfang ist mit der Last der vorangegangenen Niederlage behaftet – und die wiegt schwerer, als sich viele eingestehen wollen oder können. Nicht nur ist das Lesen gründlich aus der Mode und damit auch aus der Erfahrung gekommen. Mehr noch hat sich als Begleiterscheinung des linken Zusammenbruchs der 90er Jahre gerade an Deutschlands Universitäten eine ganze »Schule« pseudokritischen »linken« Denkens breitgemacht, die Marx und Co. weniger links liegengelassen als nachhaltig uminterpretiert hat. Diese in der Radikalität ihres Ansatzes spezifisch deutsche »Schule« hat sogar bereits ein eingetragenes Markenzeichen: die »Neue Marx-Lektüre«, bzw. »Neue deutsche Wertkritik«.

Die Kritik an dieser in weiten Teilen der jungen Intelligenz hegemonial gewordenen Marx-Interpretation ist bisher über weitgehend esoterische Fachzirkel leider kaum hinausgekommen. Es wäre deswegen zu wünschen, daß sich dies mit der kleinen Publikation von Gerhard Hanloser und Karl Reitter ändert. Mit ihrem umfangreichen Essay zum bewegten Marx haben sie eine anregende und meines Erachtens überaus treffende Kritik des von ihnen so genannten »Zirkulationsmarxismus« vorgelegt.

Gemeint ist damit die sich unter dem Rubrum der neuen Wertkritik verstehende Denktradition, die Hanloser/Reitter mehr als eine spezifische Lektürestrategie verstehen denn als ausgewachsene Denkschule. Führende Vertreter dieser Ideenströmung sind ihnen Michael Heinrich, Robert Kurz und Moishe Postone, doch sie ziehen den historischen Bogen bis zurück zur Tradition der Kritischen Theorie der 1930er Jahre. Alfred Sohn-Rethel und auch Theodor Adorno, so die Autoren nicht zu Unrecht, luden in ihren Ambivalenzen zu einer zirkulationsmarxistischen Lesart der Marxschen Theorie ein, indem sie in ihrer Kapitalismuskritik einen allumfassenden Verblendungszusammenhang des kapitalistischen Tauschwertes und Fetischcharakters behaupteten, dem alle realgeschichtlichen Oppositions- und Widerstandskräfte abhanden gekommen seien. Einstmals persönliche Herrschaftsverhältnisse verwandeln sich auf diesem Wege in unpersönliche. Das antagonistische Verhältnis von Kapital und Arbeit verschwindet, so Hanloser/Reitter: »Gesellschaft wird so zur Totalität des abstrakten Werts, der keinen Widerpart kennt.«

Was jedoch bei Sohn-Rethel und Adorno nur angelegt ist, bricht bei einem Teil ihrer Schülerschaft durch. Moishe Postone und Stefan Breuer verklären in den Post-68er Jahren die in der kapitalistischen Warengesellschaft vor sich gehende Wertabstraktion zum universalen gesellschaftlichen Band und damit die Arbeit und ihren sich in der Arbeiterbewegung (durchaus widersprüchlich) manifestierenden Gebrauchswert zu einem genuin integralen Teil des kapitalistischen Systems. Mit dieser Entleerung und Verwerfung des marxistischen Arbeits- und Klassenkampfbegriffs verschwindet das Proletariat als lebendiger Widerspruch zum herrschenden Kapital.

Doch so wie es eine reine Gesellschaft aus bloßen WarenbesitzerInnen nie gegeben hat und auch nie geben kann, »weder historisch noch logisch«, so kann das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital »keine letzte Form, keinen in sich ruhenden Zustand finden, in dem es historisch terminiert« (Hanloser/Reitter). Die wertkritische Schule unterliegt gerade jenem fetischartigen Schein kapitalistischer Vergesellschaftung, den sie angetreten ist, kritisch aufzulösen. Sie verbleibt an der Oberfläche der kapitalistischen Zirkulationssphäre, wo es weder Klassen noch Ausbeutung und Bewegung gibt, wo realgeschichtliche Reibereien und Konflikte allenfalls Probleme der Verteilungsebene sind. Die Oberfläche der kapitalistischen Zirkulation, das zeigen die Autoren treffend auf, kann jedoch nicht aus sich selbst begriffen werden. Kapitalismus ist immer auch (und zugleich – CJ) ein politisch konstituiertes Zwangsverhältnis und die Wertform die mythisch-dingliche Form eines sozialen Verhältnisses: »Der Warenfetischismus besteht im Unsichtbarwerden der Vermittlungen. Das soziale Verhältnis erscheint als Werteigenschaft. (.) Daß Widerstand, Klassenkampf, Aufbegehren dazu führen, Fetischverhältnisse zu relativieren und zu durchschauen, wird systematisch vom Zirkulationsmarxismus ausgeschlossen. Der Zirkulationsmarxismus leugnet den substantiellen Zusammenhang von Erkenntnis und Erfahrung im Klassenkampf. An die Stelle des Zusammenhangs von gesellschaftlichem Sein und Einsicht tritt schriftliche Aufklärung und Lektüre-Empfehlung.«

»Marx Lesen« und »Das Kapital Lesen« – all dies hört sich einfacher an, als es ist. Hanloser/Reitters kleines Büchlein ist deswegen eine überaus treffende, gut zu lesende und erschwinglich zu erwerbende Warnung vor all jenen »Rittern einer schrägen Marxologie«, die heute nicht selten den Ton der Zeit bestimmen. Es macht Lust auf eine Rückkehr zu den alten Quellen und erinnert uns daran, daß auch vom Kapital nichts versteht, wer nur etwas vom Kapital versteht.

Interview
‘Dass Anleitungen zum Lesen von Karl Marx Kapital dessen erste Kapitel als die Wesentlichen empfehlen, ärgerte die Autoren des Büchleins und regte sie zu einer Gegenempfehlung an. Auf 64 Seiten erklären sie daher, warum ein Blick in Band II und III lohnt. Doch ihre kleine Schrift ist keine Predigt der Ultraorthodoxie, sondern eine Aufforderung, die Welt zu verändern.’
Radio Z, 19 November 2008
Interview mit Gerhard Hanloser: hier

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Gerhard Hanloser / Karl Reitter
Der bewegte Marx
Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxismus
ISBN 978-3-89771-486-1 | 64 Seiten | 7.80 Euro

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