Das haben die Autonomen nicht verdient.””

UNRAST VERLAG Pressestimmen Das haben die Autonomen nicht verdient.””

Sol in ARRANCA Nr. 13 / Herbst 1997

Das haben die Autonomen nicht verdient’.
In den letzten Monaten sind gleich drei Bücher über die Bewegung der “Autonomen” veröffentlicht worden. Als erstes Buch wurde nach langen Wehen Anfang diesen Jahres AUTONOMIE-Kongres der undogmatischen linken Bewegungen (unrast-verlag) dem geneigten Publikum vorgelegt, eine Nachbereitung des Autonomie-Kongresses Ostern `95. Es folgten im Frühjahr eine redigierte Diplomarbeit mit dem Titel DIE AUTONOMEN ?URSPRÜNGE, ENTWICKLUNG UND PROFIL DER AUTONOMEN BEWEGUNG (Konkret Literatur Verlag) und im Juni GLUT & ASCHE (Unrast?Verlag), die dritte Publikation des selbsternannten Indianerhäuptlings Geronimo.
Das Bild, das diese drei Werke über die “Autonomen’ bieten, ist mehr als traurig. Präsentiert werden ein grober und verzerrter Festivalbericht, der tunlichst die Frage nach Sinn und Konsequenzen ausspart (AUTONOMIE KONGRESS); eine aufgeblasene pseudoliterarische Ansammlung von Plattitüden und Stammtischanalysen, vermischt mit irrelevanten persönlichen Annotationen (GLUT & ASCHE) und eine bemüht soziologische Analyse, in der einige autonome Weisheiten unhinterfragt als Wahrheiten verbraten werden (DIE AUTONOMEN). Nun hat sich gerade die Arranca! mit Kritik an “den Autonomen’ nie zurückgenommen. Doch was der Nachwelt nun als Bild erhalten zu bleiben droht, haben die Autonomen wirklich nicht verdient!
Der Drang Geronimos, zu schreiben, muss unaufhaltsam sein. Was einst ganz harmlos mit einem kleinen und nicht unbedingt schlechten ? wenn auch nicht allumfassenden ? Büchlein namens “FEUER & FLAMME’ anfing und mit einem zwar uninteressanten, aber doch streckenweise unterhaltsamen zweiten Teil fortgesetzt wurde, fand so seinen völlig überflüssigen Abschluss. Schon im Klappentext wird in flapsig autonomer Weise gedroht: der Autor “macht sich Gedanken’. Wohin diese führen, wird einen Absatz später deutlich: “Der Phönix entsteigt noch immer der Asche und trägt die Glut in eine bessere und glücklichere Zukunft ? das ist ein phantastischer, brillanter Gedanke.’
Auch die Selbstvorstellung des Autors in der Einleitung ist nicht gerade bescheiden: “aus mir selber spricht der Organisator mit dem Blick des kalten Soziologen; der leidenschaftlich an ,Politik` interessierte Autonome mit der patriachalen Lust am Angriff der fasziniert tastende Hobbyphilosoph; der neugierige, um Selbstaufklärung bemühte Forscher; der politische Kabarettist …’ (S.12) weitere Ausführungen sollen hier ausgespart bleiben.
“Nein, ein, Gesellschaftsschreck` sind die Autonomen nicht mehr’, stellt Geronimo gleich fest und wiederholt in anderen Worten einige bereits in der Heinz?Schenk?Debatte gewonnenen Erkenntnisse. “Zumeist haben sie sich in den 90er Jahren darauf reduzieren lassen, den gegenwärtigen Zustand gegen noch weitere Verschlechterungen zu verteidigen. Dass dabei aktuell kein Platz für gesellschaftliche Gegenentwürfe aus einer autonomen Perspektive sichtbar erscheint, kann zunächst einmal keinen Vorwurf beschreiben. Dass aber dieser Umstand in der politischen Praxis von ,Autonomen` noch nicht einmal als ein Problem begriffen wird, ist eine gesellschaftstheoretische Bankrotterklärung ersten Ranges.’ Doch anstatt dies als Anfangs? oder Wendepunkt zu sehen, spricht aus Geronimo die geballte Resignation, und er empfiehlt ? nach seiner persönlichen Verabschiedung aus der politischen Praxis ? den Autonomen, ebenfalls “zu gehen’.
Vier Themenschwerpunkte, Analysen von für die Autonome Szene relevante Ereignisse, bilden den Kern des Buches: die Kampagne gegen die Olympia?Bewerbung Berlins; Bad Kleinen und der Spitzel Steinmetz; der Tod des Faschisten Gerhard Kaindl /die Solidaritätskampagne für die verfolgten AntifaschistInnen und der Autonomie?Kongress 1995. Anschließend folgen noch “Ein paar Treibhölzer in’s 21. Jahrhundert …,’ eine Ansammlung von Stammtischweisheiten und Blabla ?ungeahnte Tiefen des politischen Diskurses tun sich auf!
Das gesamte Buch ist durchzogen von einer sprachlichen Mischung aus abgebrochenem Soziologiestudium und bemüht, um nicht zu sagen verkrampft wirkender Leichtigkeit. Personennamen aus der Welt der Politik werden abgewandelt und zu “Achsel Nabocki’ “Nokrawallsky’, “Schlabertschinsky’? das kann, abgesehen davon, daß das Buch für Nichteingeweihte oft unnötige Fragezeichen aufwirft, ebenso wie das Wortspiel, WeitersoWeiterstadt’ kaum noch ein müdes Lächeln hervorrufen.
Die Analysen der Fallbeispiele sind zum größten Teil ärmlich, langweilig und weisen Lücken auf. So findet er im Nolympia?Kapitel das ursprünglich auf den 20. 4. (Adolf Hitlers Geburtstag) festgelegte und dann wegen des Drucks a geblasene Fußball?Länderspiel Deutschnd?England keine Erwähnung, Ebenso unbenannt bleibt eine kurze, aber heftige Randale in Kreuzberg zwei Tage vor einem Besuch des IOC?Komitees, das am entsprechenden Montag von Zeitungsartikeln über Straßenschlachten und Plünderungen empfangen wurde. Der damalige Innensenator Heckelmann beschwerte sich im Anschluss, daß in Berlin 200 Personen derartiges planen könnten, ohne daß er davon im Vorfeld erfährt! Dafür unterlässt Geronimo tiefgreifende Olympia?Analysen und ergeht sich in einem allgemeinen Diskurs über TV. Zusammenfassend stellt er fest: “ Die Bewegung dieser Kampagne spiegelte alles in allem noch einmal die Struktur der alten West?BRD pur: Das Kapital streckt mit assoziationsmächtiger Kralle die Hand nach einem Ort aus. Das lassen sich Autonome nicht gefallen und enthüllen dabei die von Regierung und Kapital verbreiteten Illusionen als gemeine Lügen, ha! Dann sagt die Maus zum Nashorn: Hey du, paß auf, hau bloß ab, sonst greif’ ich dich an und mach’ dich fertig. Das Nashorn schaut aufgrund dieser Unverfrorenheit verdutzt, um sich dann wutschnaubend auf die Maus zu stürzen. Doch die hat sich geschwind davongemacht, und am Schluss, wenn das Nashorn sich schon umgedreht hat, um von selbst zu gehen, beißt die Maus dem irritierten Tier in den Schwanz, fühlt sich glücklich und feiert ‘ne Riesenparty!’ (S. 59) Dieses Geschwafel hindert den Autor nicht, die Autonomen an späterer Stelle dafür zu kritisieren aß sie stark mit Comics und kindliche Assoziationen arbeiten (Kind = Unschuld)
Die Konsequenz, die Geronimo aus dem Fall des Spitzels Steinmetz zieht, mutet auch nicht besser an: “Die durch Spitzelfiguren aufgeworfenen Probleme sind immer nur über den politischen Inhalt aufzulösen, d.h. durch die Kritik an den Verhältnissen und niemals über die Form aufzulösen. Aus diesem Gedanken folgt zwingend, daß nicht die polizeilich leicht ausrechenbare Organisation, sondern nur die offene, breite, soziale, in jeder Hinsicht verwirrende Bewegung der beste Schutz davor sein kann, von den unvermeidlichen Spitzeln verstanden zu werden.’ Natürlich ist zur radikalen Umkehrung der bestehenden Verhältnisse eine breite Bewegung notwendig, doch sollte es in ihr auch immer organisierte (linke, progressive, emanzipatorische etc.) Gruppen geben, wenn uns nicht das gleiche Schicksal ereilen soll, wie die schnell erstickten spontanen Revolten in Algerien und Venezuela Ende der 80er Jahre. Das Spitzelproblem in organisierten Strukturen in den organisierten Gruppen selbst zu verorten, erinnert an die Logik der Bundesregierung, die Ursache für den Rassismus in der deutschen Bevölkerung in der “hohen Ausländerquote’ auszumachen.
Das Kapitel über den sogenannten Kaindl?Fall beginnt wiederum gleich mit einem Patzer: “Anfang April des Jahres 1992 wurde der Faschist K. in einem Neuköllner Chinarestaurant in Berlin von einer Gruppe Vermummter überfallen und erstochen.’ So weit ging nicht einmal die bürgerliche Presse.
Der “Überfall’ galt schließlich nichtexklusiv Kaindl, sondern einem Nazitreffen, und Kaindl wurde auch nicht von ein einer “Gruppe erstochen’. Angesichts der spä folgenden genaueren Beschreibung handelt es sich bei dieser Formulierung sich nicht um böse Absicht, doch “Fahrlässigkeit’ ist dem Autoren, der sonst so große Wert auf genaue und juristisch korrekte Formulierungen legt, mindestens vorzuwerfen. Im Verlauf des Kapitels folgen weitere Ungenauigkeiten, dennoch handelt es sich wohl um den Teil mit der akkuratesten Analyse, auch wenn Beschreibungen wie “das mächtigste Arschloch der Berliner CDU’ ? ohne den entsprechenden Namen zu nennen ? den Gebrauchswert für Nichteingeweihte beträchtlich schmälern.
An das Eingemachte geht es schließlich im Kapitel über den Autonomie?Kongress. In seinen Ausführungen über die linksradikalen Ostern ’95 läßt Geronimo seiner sektiererischen Ader freien Lauf und vermischt großkotzige Allgemeinurteile mit seinen gewohnt irrelevanten sowie überflüssigen Schnörkeln bemühten Literatursubstrats.
Schuld sind immer die anderen. Vor allem die “Stalinisten’. Geronimo greift weit zurück, um die “Krise der Autonomen’ zu erläutern. Eine zentrale Ursache sieht er darin, daß sich an der Spitze der revolutionären i. Mai?Demo ’93 ein Transparent mit der Sammlung verschiedener Bartmodelle (Voll? und Spitzbart sowie Schnauzer) befand. Das scheint den Autor besonders traumatisiert zu haben, denn die Anmerkung, “die Autonomen’ seien damals hinter einem Stalin?Transpi hinüber in den Osten gewackelt, zieht sich durch das gesamte Kapitel. Immer wieder wird dabei der Eindruck vermittelt, die Schuld dafür läge bei “den Stalinisten’ und nicht etwa in der Beliebigkeit der Autonomen/Linksradikalen ? heute im Positive?Thinking?Jargon der Bewegung “Vielfältigkeit’ genannt. Im Bezug auf die Auseinandersetzungen in der Berliner Autonomen?Szene um die 1. Mai?Demo ’93 und die Spaltung in ein “Autonomes Mai?Plenum’ (Amapl) eher vermeintlich undogmatischer Linksradikaler und in ein “Revolutionäres Maiplenum’ (Revomap) unter der Beteiligung von ML?Gruppen, stalinistischen Organisationen und linksradikalen Gruppen, wird suggeriert, es habe sich beim Revomap ausschließlich um Stalinisten gehandelt. Daher wird ihnen auch abgesprochen, “Autonome’ sein zu können, Geronimo beansprucht das Siegel Autonome für sich und seine Freunde.
Und weiter geht’s mit Steuermann Geronimo durch die Vorstellungswelt der Autonomen. Die Schwarz?Weiß?Malerei kennt keine Grenzen, wiegt jedes Wort des anderen, des Gegners, schwerer als Blei, während in der eigenen Familie natürlich alles nur relativ ist. So wird z.B. der im Zuge der Auseinandersetzungen um die Hoyerswerda?Demo’ aus dem allerengsten Umfeld Geronimos auf einer Szene?’Vollversammlung’ gegenüber Migrantenjugendlichen geäußerte Satz “Wir brauchen euren Mut und ihr braucht unsere Schlauheit!’ schlicht als “naiv’ verharmlost.(1) Ober die Göttinger Autonome Antifa (M) heißt es banal in einer Fußnote, sie vertrete ein “Asbach?Uralt?ML?ArbeiterbewegungsStaats?Konzept’. Wen wundert es bei so unterentwickeltem Differenzierungsvermögen noch, daß es Geronimos Autonome nicht geschafft haben, fundierte antistalinistische Positionen in der Bewegung zu verankern?
Auch die tiefsitzende autonome Aversion gegen Organisierung/Organisation bricht in diesem Kapitel wieder durch und verleitet Geronimo dazu, Fragen aufzuwerfen, die sich nahe an der Grenze zur Idiotie bewegen: da “sowohl die Frage der Organisierung als auch die Praxis der Definition von Begriffen in der Geschichte immer ganz konkret Männerorganisierung und patriarchale Theoriebildung geheißen hat, und von daher weder von der Form noch vom Inhalt her in einem Autonomie-Kongress etwas zu suchen hat’ (S.i48). Dabei strotzt Geronimo sonst nur so vor Erklärungswut: “Das Private ist politisch! In der angloamerikanischen Version heißt dieser Slogan: ,The personal is political’.’ Ja, wirklich?! Bzw. “really?!’ ? in der angloamerikanischen Version ?, wer hätte das gedacht! Es drängt sich die Frage auf, was die Lektorin (Frau Lydia S.) getan hat. Und Du Geronimo, der Du Dich bei Deinen Freunden bedankst, die das Buch gelesen und kritisiert haben, lass’ Dir gesagt sein: ein wahrer Freund läßt so etwas nicht durchgehen!
IN AUTONOMIE KONGRESS DER UNDOGMATISCHEN LINKEN BEWEGUNGEN wird an diesem Punkt ebenfalls das vielen “Autonomen’ eigene vereinfachende Schwarz?Weiß?Denken deutlich. Insgesamt spiegelt die schriftliche Nachbereitung des Kongresses die trostlose Situation der Autonomen Bewegung wieder. Im Vorwort werden erst einmal mögliche Erwartungen heruntergeschraubt, schließlich folgt eine Sammlung meist relativ zusammenhanglos nebeneinander stehender Beiträge aus der Zeit vor, während und nach des Kongresses. Zwar wird immer wieder die Wichtigkeit kritischer Diskussionen hervorgehoben, doch letztendlich auch jede geäußerte Kritik beiseite geschoben. Wer nach dem Kongreß auf die Frage “Wer sind die Autonomen?’ mit Glanz in den Augen und einem “Wir sind viele und überall’ antwortete, wird Gefallen an dem Buch finden. Wer die Suche nach Wegen, für eine befreite Gesellschaft zu kämpfen, noch nicht aufgegeben hat, sucht vergeblich nach Anstößen.
Als einziger Trost bleibt, daß die undogmatische revolutionäre Linke in Wirklichkeit nicht ganz so trostlos ist. Die verschiedenen Debatten der letzten Jahre “zeigen jedoch, daß die autonome Bewegung weitaus lebendiger ist als andere Teile der Linken’, um es mit DIE AUTO NOMEN auszudrücken. In der redigierten und um einen Teil über Frauen/ Lesben ergänzten Diplomarbeit mangelt es im Prinzip nicht an interessanten Ansätzen, doch leider bleiben sie in der Ausführung meist auf halbem Wege stecken. So etwa das Einstiegskapitel “Zum geschichtlichen Hintergrund: der Fordismus, das sozialdemokratische >Modell Deutschland< und die Neuen Sozialen Bewegungen’, das zwar richtigerweise die fordistische Gesellschaft als Wiege der Neuen Sozialen Bewegungen ausmacht, jedoch vergisst zu untersuchen, welchen Einfluss die nivellierende Wirkung des Fordismus auf die potentielle Organisierung für gemeinsame Interessen ausübte.
Das gesamte Buch entspricht in seinem Aufbau einer wissenschaftlichen Arbeit. In der Einleitung werden Gegenstand und Methodik erläutert, es folgen geschichtliche Hintergründe, politische Vorläufer der Bewegung, etc. Eine Systematik und Obersichtlichkeit, die etwas für sich hat, doch leider geht im Text selbst diese Genauigkeit verloren. Zu oft werden autonome Floskeln und Szene?Wahrheiten sprachlich akademisiert und täuschen so eine real nicht gegebene argumentative Standfestigkeit vor. An anderer Stelle schleichen sich schlicht Falschinformationen in den Text ein, wie etwa die Vordatierung des “Höhepunktes’ der Mitte der 7oer gegründeten italienischen Autonomia Operaia auf 1968/69 (S.3o). Der Blick, den die AutorInnen Thomas Schultze und Almut Gross allerdings auf die Autonome Bewegung bieten, ist streng aus der Perspektive der Elbstadt. Die allermeisten im Literaturverzeichnis angeführten Flugblättern stammen aus Hamburg. Das spiegelt sich sowohl in der Chronologie der Ereignisse als auch in den genauer analysierten Themenbereichen wider. Wer seine autonome/linksradikale Sozialisation nicht in den Grenzen der Hansestadt oder ihrem unmittelbaren Einzugsgebiet erfahren hat, wird vieles vermissen. Einige Ereignisse regionaler Bedeutung, wie etwa die Unibesetzungen `88/’89, fehlen völlig, andere südlich der niedersächsischen Landesgrenze situierten Kämpfe der 8oer Jahre sind absolut unterbelichtet. Die Auseinandersetzungen um die Wiedervereinigung, die Hausbesetzerbewegung in Ostberlin `90, die autonom/linksradikale Bewegung in er ehemaligen DDR etc. kommen nicht vor. Insgesamt konzentriert sich die Darstellung auf Beiträge von durch Alt?Autonome anerkannten Szeneinstanzen wie die Lupus?G uppe, radikal, Autonomie Neue Folge, Wild at u.a.. Die beschriebene Debatte geht häufig an prägenderen oder stärker aufgegriffenen Themenbereichen vorbei. Auch dies n Abbild realer autonomer Strukturen. Der massive Zustrom Jugendlicher in antifaschistische Gruppen Anfang/Mitte der 9o r war nicht nur der Aktualität des Themas geschuldet, sondern auch der Möglichkeit in den jungen Antifagruppen eine “selbstbestimmte’ Politik jenseits der informellen Hierarchien und moralisch bindenden Binsenweisheiten der Alt?Autonomen zu praktizieren. Dies mal ganz abgesehen davon, da , wie die Elb?Autonomenrichtig feststelle “der antifaschistische Kampf keine Sprengkraft mehr für den Staat’ besitzt.
Mit gemischten Gefühlen warte ich nun auf die nächsten Beiträge zum Thema. Mich plagt die Furcht vor weiterer dröger und sektiererischer Mythenbildung bei gleichzeitiger Verwässerung und erlebt die Hoffnung auf eine offene, geschichtsbewusste und vorwärtsweisende Debatte über die reichhaltigen Erfahrungen einiger Jahrzehnte undogmatischer revolutionärer linker Bewegung.
SOL

1 Nach rassistischen/faschistischen Angriffen in der Stadt der ehemalige DDR fand eine antifaschistische Demonstration dort statt, an der sich ein breites linksradikales Spektrum beteiligte. Während der Demonstration kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Demoteilnehmerlnnen. Dabei ging es um die Interpretation der Rolle der Demonstration. Die Auffassungen schwankten von “Strafexpedition gegen das faschistische Hoyerswerda, das sich nicht verhalten hat’ bis zu ,.Aufklärung der Bevölkerung und Mut machen zum Stellung beziehen’. Im Nachhinein kam es zu Diskussionen die entscheidende Unterschiede in der linksradikalen Szene deutlich machten.

Leserbrief, gekürzt abgedruckt in der Arranca Nr. 14 / Frühjahr 1998

Was die ‘Autonomen’ so alles verdient haben …
In der Herbst `97-Ausgabe der Zeitschrift Arranca entedeckte ich eine ausführliche ‘Buchbesprechung’ zu dem von mir publizierten Glut & Asche (G&A). Ein Grund zur Freude? Beim Durchlesen war dann aber festzustellen, daß sich in dem Ton dieser Rezension überschäumender Ärger und große Unzufriedenheit mit dem G&A-Text ausdrückte. Selbst der Verfasser kommt nicht besonders gut weg. Das Arranca-Redaktionsmitglied Sol attestiert mir und G&A eine ‘aufgeblasene pseudoliterarische Ansammlung von Plattitüden (…), vermischt mit irrelevanten persönlichen Annotationen’; er sieht eine ‘Ansammlung von Stammtischweisheiten und Blabla’; vermutet beim Verfasser ein ‘abgebrochenes Soziologiestudium’, die Analysen der Fallbeispiele seien ‘zum größten Teil ärmlich, langweilig und weisen Lücken auf’, und überhaupt führe ‘eine sektiererische Ader’ des Autors zu ‘großkotzigen Allgemeinurteilen mit seinen gewohnt irrelevanten (…) Schnörkeln.’ Ist das schon das Ende der Durchsage? Ob dem Rezensenten wohl nicht mehr Negativ-Markierungen zu G&A und dem Autor haben einfallen mögen? Die polemischen Passagen lassen vermuten, daß es dem Rezensenten vor allem auf `Niveau, `Unterhaltung` und – ich wage es kaum auszusprechen – wohl auch auf `Wissenschaftlichkeit anzukommen scheint, führt er doch ein Studium der Soziologie ins Feld, das ich, schließt er aus meinem Schreibstil, abgebrochen haben könnte. Natürlich ist es nutzlos allen mir angehefteten Negativ-Markierungen widersprechen zu wollen, zumal mir selber – vielleicht im Unterschied zum Rezensenten Sol – nicht von vornherein klar zu sein scheint, ob ein abgebrochener Soziologiestudi unbedingt schlechter als ein verbeamteter Soziologieprofessor spricht. Anywhay. Ohne Zweifel handelt es sich bei der Arranca-Rezension um einen gnadenlosen Verriß. Sie ist ein einziger intellektueller Gewaltmarsch des lärmenden `Neins`. Und wenigstens in dieser Beschreibung hoffe ich mit dem Rezensenten einig zu sein.

Was folgt aus der depressiven Form der Negativität?
Es ist das gute Recht von Sol keine Sympathie für den Inhalt von G&A zu empfinden. Das kann auch ein wichtiges Motiv zum Verfassen jenes Verrisses sein, ein Argument für oder gegen den Inhalt von G&A ist das aber auf keinen Fall. Zunächst einmal ist es unbedingt richtig gerade alle diejenigen, die in einem Zusammenhang der alten – aus meiner Sicht tot gegangenen – autonomen Bewegung publizistisch tätig ist, in jeder Weise dem Brennspiegel der mitleidlosen Kritik auszusetzen. Kritik kann ich, können wir alle gebrauchen. Tatsächlich ist G&A so unzulänglich wie jeder Versuch aus einem Noch-Nicht und aus einem Veränderungswunsch heraus das bestehende Schlechte zu kritisieren. Gegen das zwar unmenschliche, aber wegen seiner kalten Faktizität vernünftig scheinende Wirkliche eine Möglichkeit von Reichtum zu behaupten, die darin bestehen könnte, daß das Glück der Einzelnen Bedingung für das Glück aller ist und umgekehrt, das kann in der Tat ein einzelner Mensch nur sehr unvollkommen einlösen. Jede/r, der das versucht, ist dabei auf die Kritik und die Korrektur von anderen angewiesen.
So machte ich mich in der vorliegenden Arranca-Rezension auf die Suche nach Kritik und Korrekturen in diesem Sinne. Aber außer zwei Hinweisen auf möglicherweise fehlende Episoden in dem Nolympia-Kapitel und eine vom Rezensenten mit Recht als ‘fahrlässig’ gekennzeichnete Ungenauigkeit bei der Darstellung der Tötung des Faschisten K. fand ich – nichts.
Es ist nie verkehrt auf fehlendes hinzuweisen, weil das so gut wie immer stimmt. Allein es bleibt die Frage, ob jene fehlenden Dinge bestimmte Gedanken und Argumentationsführungen in ihrem Kern verändern, wohlmöglich sogar die Perspektive von etwas besserem ausschließen. Diesen Nachweis zu führen kostet in der Tat einiges an Arbeit und Sol mag sich dieser Anstrengung nicht unterwerfen. So kümmert er sich zwar nicht um die geltend gemachte Argumentation, benennt aber ‘Lücken’ und nimmt sich auch so in diesem Fall lediglich das einfache ‘Recht haben’. Und gerade damit wird schnell weggeurteilt aber bekanntlich nichts erklärt.
Erheblich problematischer ist demhingegen der Hinweis auf die fahrlässige Formulierung in der Tötung des Faschisten K. Er ist auch deshalb für mich besonders schmerzlich, weil er aus einem politischen Zusammenhang formuliert wird, der in Sachen der Soliarbeit mit den kriminalisierten AntifaschistInnen im wahrsten Sinne des Wortes `große Verdienste´ erworben hat. Fels war in dem von anderen Soligruppen aus Lüge, Desinformation und terroristischem Diskurs hergestellten Netz, die einzige Fraktion, die eine um Rationalität und Aufklärung bemühte politische Position formuliert hat.
Hinter diese einmal erreichte Praxis fällt aber die Rezension bei weitem zurück. Und dabei besteht mein Widerspruch zu Sol nicht darin, daß er polemisiert, – die Freiheit der Kritik schert sich nicht um die bloße Form! – sondern das sein `Nein´ in der Depression gründet, und nicht in dem Vorschein von etwas besserem, und sich darin einfach selbst genügt. Genau das führt unweigerlich dazu, daß seine Polemik im Ressentiment verendet. Und, verflucht, es muß schon jetzt etwas besseres geben als die desaströsen Kommunikationsformen in den verklebten Familiengeschichten, die nicht nur permanent Mißverständnisse sondern auch gezielte Diffamierung hervorbringen. Naiv der oder die die glauben will, als besäße gerade das keine ‘politische Bedeutung’. Das Gegenteil ist wahr und das sogar in einem sehr bedrohlichen Sinn. Genau das, und keineswegs der Wunsch, das klägliche ‘letzte Wort’ zu beanspruchen, fordert auch meinen Widerspruch heraus.
Gerade das Ressentiment sorgt dafür, daß die Aussagen in der Rezension leider in weiten Teilen antiaufklärerisch werden. Das wird in der Rezension u.a. besonders dort besonders schmerzlich deutlich, wo dem Rezensenten der Versuch das Kapitel zum Autonomie-Kongress zusammenfassend wieder zu geben, vollständig mißlingt. Zu Sols Gunsten kann ich nur annehmen, daß er es einfach nicht gelesen hat. Sonst bleibt nur der noch deprimierendere Hinweis, daß er eine bestimmte Flughöhe, die man für ein Grundverständnis mindestens dann braucht, wenn man von Beginn an keine Sympathie mit dem Gegenstand zu teilen vermag, einfach nicht erreicht hat. Asche.

Relevanz und die Suche nach den Maßstäben
In der Rezension kennzeichnet Sol zweimal die von mir in G&A verhandelten durchaus auch sehr persönlichen Erfahrungen als ‘irrelevant’ und denunziert sie als ‘Schnörkel’ und ‘persönliche Annotationen’. Zunächst einmal kann Sol sich mit dieser Auffassung im sicheren Verein mit den Vorstellungen einer Antimp-GenossIn wähnen, die mir mal in öffentlicher Rede direkt und unverblümt gesagt hat: ‘Auf dich kommt es doch überhaupt nicht an!’ Eben, ‘irrelevant’ um es mit den Worten Sols zu sagen. Ob sich wohl mit dieser Aussage tatsächlich eine ganz neue Welt errichten läßt? Möglicherweise, aber nicht nur für mich wird das mit großer Wahrscheinlichkeit keine bessere sein. Und da es aktuell keine Organisation für mich tun wird, erlaube man mir bitte, auch mit Hilfe von G&A für meinen eigenen ‘Kopf und Kragen’ gegen die Verhältnisse zu streiten. Und das ist nicht nur für mich alleine äußerst relevant, sondern auch für eine Politikvorstellung in dem die einzelnen gerade vorkommen und nicht – wie z.B. zumeist in Organisationen eingeordnet und damit faktisch abgeschafft werden.
Damit ist aber die Frage noch nicht beantwortet, was wir eigentlich unter dem schillernden Begriff der ‘Relevanz’ verstehen können. Gerade Relevanz ist ja immer an Maßstäben zu messen, im Falle des Textes wie G&A natürlich erst mal an meinen eigenen. Gelungen ist eine Veröffentlichung, wenn die eigene Auffassung davon was wichtig ist (so läßt sich in diesem Zusammenhang das Wort Relevanz übersetzen), durch die im Text aufgeführten Überlegungen so verallgemeinert wird, daß andere sie nachvollziehen und an ihren eigenen Vorstellungen davon was wichtig ist, messen können. Ein solcher Vergleich, das Ausweisen und messen der eigenen und der kritisierten Maßstäbe, begründet eine gelungene Kritik. Nun mag es ja sein, daß der Arranca-Rezensent für sich ganz allein einen solchen Vergleich gezogen hat, daß er den in G&A geltend gemachten Inhalt mit eigenen Erfahrungen und vor allem mit eigenen Vorstellungen von Politik konfrontiert hat. Davon jedoch ist in der Rezension so gut wie überhaupt nichts zu lesen. Allenfalls hinsichtlich der Spitzelproblematik und der `Mut und Schlauheit` Auseinandersetzung läßt Sol einen Gegenstandpunkt aufblitzen, den er aber nicht weiter ausführen mag. Ansonsten, unglaublich aber wahr: Sol spielt nicht nur mit verdeckten Karten, was gerade in der Politik nicht völlig illegitim ist, sondern er entzieht mir damit auch die Kritik! Das nenne ich Antiaufklärung. Und die nützt weder mir, den anonymen LeserInnen noch euch selbst – weder praktisch politisch noch privat. Und gerade das Fehlen der Reflexion sowohl meiner eigenen als auch seiner Maßstäbe verhindert beim Rezensenten die zur Kenntnisnahme einiger Kernüberlegungen von G&A. Ihre Diskussion hätte G&A im negativen wie im positiven Sinne zu sich selbst gebracht. Nichts davon, und so ist der Inhalt des Verrißes erneut eine von vielen verpaßten Chancen.

Perspektiven?!
Doch für eine neue Runde verpaßter Chancen wurde G&A wirklich nicht geschrieben. Darin wurde in einem etwas weiteren Horizont versucht, die Frage danach aufzuwerfen: Was ist Politik und was nicht, und darauf bezugnehmend: Wie bewegen sich die Leute in den Konflikten, warum brechen sie sie zumeist ab, und was bedeutet das politisch wie privat? Und gerade vor diesem Hintergrund kommt dem unbedingt erneut zu begründenden, wie in Spannung setzenden Gedanken, daß das Private angeblich schon immer politisch sei, eine eminente hochpolitische Bedeutung zu. Und dessen permanente Umwälzung liegt auch im unmittelbar eigenen Interesse des Rezensenten und hat deshalb mehr verdient, als den aufdringlichen ‘really’-Spott
Das klingt alles in der Tat ein wenig nach Philosophie, weil diese eben um die Frage nach dem ‘guten Leben’ kreist. Für selbiges kämpft doch auch die Organisation Fels mit ihrer Politik oder etwa nicht? Aber um nicht ganz den Faden zu einer durchaus aktuell verstandenen Politik abreißen zu lassen, habe ich anhand von Fallbeispielen nicht nur die `Politik`- Begründungen von antifaschistischen, antirassistischen und antiimperialistischen Gruppen durchgemustert. Darin ging es mir nicht nur um das bloße Aufzeigen von Zahnlücken, sondern es sollte anhand des gerade von den Politgruppen selbst publizierten Materials der Nachweis geführt werden, daß die ‘zur politischen Praxis kommenden Kategorien eines Antifaschismus, MigrantInnenorganisierung und eines Antirassismus (…) einer notwendigen Erneuerung eines Autonomiebegriffes direkt im Weg stehen.’ (S.20) Das gleiche gilt natürlich auch für den alten Antiimperialismus. In dieser Replik will ich jetzt einfach mal so frei sein, das Schweigen von Sol nicht nur zu dieser Aussage in G&A schlicht im Sinne der Hoyerswerda-Parole ‘Wer schweigt, stimmt zu! – zu deuten.

Schlußakkord
Von Genossen aus dem Umfeld der Arranca ist in dem Aufgalopp zur Gründung der Organisation Fels, die sog. Heinz Schenk-Debatte im Spätherbst `91, die Existenz der Autonomen so umfassend wie schlicht als ‘Fehler’ bezeichnet worden. (1) Insofern hätte Sol der Inhalt von G&A wenigstens der Form nach ‘wie Öl reinlaufen’ müssen. Dem ist aber nun überhaupt nicht so. Insofern möchte ich das für die Publikations-Politik der Organisation Fels überraschende Bemühen, ausgerechnet die Autonomen im Sinne von: ‘Das haben die … nicht verdient!’ in Schutz zu nehmen, als sehr bemerkenswert bezeichnen. Es verweist darauf, daß mit jenen, den Heinz-Schenk-Texten zugrunde liegenden und wohl überlegt plazierten Anti-Autonomen-Thesen schon damals ein paar sehr gezinkte Karten mit im argumentativen Spiele waren. Das gibt mir Grund zu der Vermutung, daß von Heinz Schenk damals nicht die ganze Wahrheit gesagt worden ist. Sollte es etwa sein, daß sich die Organisation Fels auf der Basis einer Lebenslüge gegründet hat? Was auch immer. Ihr könnt nur gewinnen wenn ihr diesen für die Existenz eurer rührigen Organisation zentralen Widerspruch selbst aufklärt, anstatt diesen beständig mit einer merkwürdig synthetisch wirkenden ‘Links’-Teflon-Folie zuzudeckeln.
In der Rezension wurde mir ‘geballte Resignation’ unterstellt. Ob damit gemeint ist, mit Unfug aufzuhören? Das finde ich sehr richtig und nicht nur damit bin ich selber derzeit ‘guter Dinge’ und bereite – frei nach Brecht – meinen ‘nächsten politischen Irrtum’ vor. Und in dem geht es aktuell unbedingt darum, die Autonomie, verstanden gerade nicht als ‘Unabhängigkeit’ sondern eben als ‘selbstbestimmte Abhängigkeit’ (Autonomie-Kongress) neu zu begründen. Und da weiß ich wie sehr auch wir aufeinander angewiesen sind. Es gibt also keinen Grund dafür einfach, wie es in dem Verriß getan wurde, den Zusammenhang abzubrechen, anstatt ihn neu zu stiften. In diesem Sinne verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, und den allerbesten Wünschen auf Glück, Befreiung und Emanzipation sprich: Autonomie auch in eurer Organisation. Alles weitere, – und das wäre im besten Sinne politisch, – mündlich.
Geronimo

1 Siehe Feuer & Flamme, Teil II, S. 169, Berlin 1992