HOLGER SCHATZ, Arbeit als Herrschaft . Die Krise des Leistungsprinzips und seine neoliberale Rekonstruktion.
(…) Beaud/Pialoux, Haipeter/Lehndorff und auch Kuhlmann lassen die Frage unbeantwortet, worauf die zu beobachtende Abwendung vom fordistischen Klassenkompromiss zurückzuführen ist. Kühl verweist zwar auf die Befunde der Regulationstheorie, dass der Fordismus über kurz oder lang zu sinkenden Profitraten führe, scheint sich aber zugleich von diesen Befunden zu distanzieren. Für Schatz hingegen ist die Frage zentral, und den Versuch einer Beantwortung bettet er ein in eine materialistisch fundierte Dekonstruktion der Rekonstruktion des Leistungsprinzips.
Das Leistungsprinzip, also die Ableitung individuellen Status und Einkommens aus individueller Leistung, ist als Phänomen der Moderne eng mit der Reduzierung der Arbeit auf Lohnarbeit verbunden. Alles menschliche Tun – so die Basis des Leistungsprinzips – ist mess- und vergleichbar; jeder bekommt, was er verdient! Indem es derart die Möglichkeiten sozialen Aufstiegs individualisiert, individualisiert das Arbeits- und Leistungsprinzip zugleich das Schicksal derer, denen dieser Aufstieg verwehrt blieb. Nur die Hegemonie einer solchen Auffassung macht erklärbar, warum soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft als akzeptabel, gar als gerecht empfunden wird. Das Leistungsprinzip hat also in dieser Perspektive die Integration einer antagonistischen, kapitalistisch organisierten Gesellschaft sicherzustellen, es ist in diesem Sinn systemstabilisierend.
Nur, fragt Schatz: ist es dazu noch in der Lage? Der Glaube an das Leistungsprinzip schwindet zusehends. Angesichts herrschender technologie-induzierter Massenarbeitslosigkeit können viele ihre Leistungsfähigkeit gar nicht mehr unter Beweis stellen, zudem wird – infolge zunehmender Arbeitsteilung und steigenden gesellschaftlichen Wissens – der Zusammenhang von eigener Leistung und Ergebnis ohnehin immer unbestimmbarer. Um dennoch weiterhin systemstabilisierend wirken zu können, muss das Leistungsprinzip selbst immer wieder stabilisiert und rekonstruiert werden. Mit dem Präsenthalten von Arbeitslosigkeit als dem gesellschaftlichen Grundproblem, mit ihrer symbolischen Bekämpfung, vor allem aber mit Diskursen über die Faulheit der Arbeitslosen und mit Strategien der Responsibilisierung (Eigenverantwortung) und Rekommodifizierung (Arbeitszwang) wird nicht nur dafür gesorgt, dass Arbeitslosigkeit mit dem Verlust gesellschaftlicher Anerkennung gleichgesetzt wird. Es werden zugleich die Bedingungen derjenigen strukturiert, die im Arbeitsverhältnis stehen, wie sich an der zunehmenden Individualisierung der Entlohnungsformen oder dem seit Jahren sinkenden Krankenstand der Erwerbstätigen ablesen lässt.
Kapitalismus funktioniert nicht ohne Arbeit. Der Drang zur Arbeit funktioniert nicht ohne individuelles Leistungsprinzip mit seiner Fokussierung auf (Lohn-)Arbeit. (In der Diskussion des Freiheitsbegriffs betont Schatz zu Recht, dass z. B. Selbständige zwar nicht zur Lohnarbeit gezwungen, wohl aber strukturellen Zwängen zur selbstausbeutenden Leistungserbringung unterworfen sind.) In diesem Sinne der Basisdisziplinierung mittels Leistungsprinzip wird die spezifische Logik im Kapitalismus sichtbar: Arbeit ist – als Instrument der sozialen Kontrolle – (nicht immer persönliche, aber immer abstrakte) Herr-schaft.
Die Frage nach der Rolle der Sozialpolitik in diesem Herrschaftskonstrukt führt zum Ausgangspunkt zurück. Der fordistische Klassenkompromiss und die dekommodifizierenden Elemente des dazugehörigen Sozialstaates waren Ausdruck des stillschweigenden Einverständnisses darüber, dass Marktradikalität und Gerechtigkeitsversprechen des Leistungsprinzips nicht kompatibel sind. Immer schon war der fordistische Sozialstaat für eine kapitalistisch strukturierte Gesellschaft dysfunktional, doch nicht etwa, weil er unbezahlbar war, sondern weil er das Herrschaftsprinzip Arbeit abgeschwächt und damit in Frage gestellt hat. Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus aber waren herrschaftsfreie Gesellschaftsmodelle derart desavouiert, dass es der Befriedungsfunktion eines fordistischen Sozialstaates immer weniger bedurfte. Dies war der Ausgangspunkt für eine mittels Rekonstruktion des Leistungsprinzips verstärkt rekommodifizierende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, wie wir sie derzeit erleben. Konsequenterweise ergibt sich für Schatz aus dieser Stärkung des Leistungsprinzips schließlich auch, dass wir von einer Entkopplung von Arbeit und Einkommen (z. B. im Rahmen eines Grundeinkommens) weiter denn je entfernt sind. (…)
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Arbeit als Herrschaft